Hartmut dreht durch

Hartmut dreht durch

Dies ist, nach längerer Schaffenspause, bedingt durch Umzug und Zwischenprüfung, meine neueste Kurzgeschichte. Ich hoffe, dass mein Blog nicht allzu sehr in Vergessenheit geraten ist. 😉

Hartmut dreht durch – oder: Toleranz ist nicht ganz einfach

„Endlich angekommen“, dachte Hartmut, der gerade mit seinem Lehrling Wolfram den Wagen ablud. Da das Lichterfest in der elfischen Stadt Byrwich unendliche Scharen von Gauklern, Musikern, Schaulustigen und natürlich Händlern, wie Hartmut selbst einer war, anzog, waren die Straßen verstopft, und es war quälend langsam vorwärts gegangen, was die Geduld der beiden Zwerge gehörig überstrapaziert hatte.
Aber jetzt hieß es nur noch den Wagen leer zu bekommen, denn dann würden beide sich ausruhen können.
Hartmut und sein Lehrling schleppten die Ware, sorgfältig geschmiedete Zwergenwaffen, robuste Gürtelschnallen, aber auch zierliche Amulette, in den kleinen Laden, den man ihnen zugewiesen hatte. Sie grunzten glücklich, als endlich alles verstaut war.
„Wolfram, bleibe Du hier bei der Ware, ich werde uns beiden etwas zu essen und zu trinken organisieren“, versprach Hartmut, während ihm schon beim Gedanken an etwas Essbares der Speichel in den Bart tropfte.
Er dachte voller Genuss an ein großes Stück Spanferkel, dazu ein Stück Schwarzbrot und einen riesigen Humpen süffiges Dunkelbier. Ach, er würde einfach ein kleines Fässchen organisieren, um damit die Strapazen der langen Reise wegzuspülen.
Er ging die liebevoll mit Zweigen, Blumen und kleinen Lampions dekorierte Straße entlang und betrachtete die Beete, in denen helle Lichter wie aufgereihte kleine Soldaten standen. Die Grünflächen schienen das Werk eines wahnsinnigen Gärtners zu sein. Die Büsche, die in der Form an sich paarende Einhörner und Drachen erinnerten, amüsierten Hartmut und erinnerten ihn daran, dass von allen Völkern die Zwerge diejenigen waren, die über einen wahren Sinn für Ästhetik verfügten.
Beim Anblick der Einhörner träumte er von der guten Pferdewurst daheim, und sein Magen knurrte energisch. Bereit, diesen zufrieden zu stellen, drängelte sich Hartmut an die Theke einer kleine Bude, in deren Umkreis viele Elfen, aber auch ein paar untersetzte Halblinge standen.

„Würzig marinierter Tofu mit Austernpilzen“, versprach das Schild, das mit floralen Mustern versehen war. Hartmut blickte den bedienenden Elfen verständnislos an.
„Was ist Tofu denn für ein Tier?“, fragte Hartmut teils schockiert, teils neugierig.

Schockiert, weil er sich einbildete, alles, was Augen besaß, schon verspeist zu haben, neugierig, da er gespannt war, welch kulinarische Genüsse das Ausland wohl bieten würde.
Die Antwort des Elfen terrorisierte ihn. Benommen taumelte er ein paar Sekunden durch die fremdländische Menge, bis er sich wieder gefangen hatte.
Der Hunger meldete sich wieder, diesmal stärker. Der nächste Stand, die Hoffnung stieg.
Doch das Elend endete nicht: Bananencurry mit Zitronengras, Pfannkuchen mit Litschi-Ingwer-Marmelade. Was zur Hölle war Ingwer? Pfirsichparfait auf Tortenboden, Falafel mit Knoblauchsoße… Was sollte das? Warum? Warum dachte man nicht an Hartmut? Und was sollte er dem armen Wolfram sagen?
In Agonie rannte Hartmut durch die hübsch dekorierten Gassen. Panik überkam ihn. Wo würde er etwas Richtiges zu essen bekommen?
Langsam verwandelte sich seine Hektik in Enttäuschung. Sein Bart hing traurig nach unten.
In seinem Elend kaufte er sich ein Zwiebelbrot, in dem er tatsächlich ein paar Speckstückchen fand. Die waren da bestimmt irrtümlich hinein geraten, dachte der verbitterte Zwerg.
Plötzlich, wie durch göttlichen Eingriff, sah er ein Schild mit der Aufschrift Bier.
Bier, dachte Hartmut, der allen Zwergengöttern für diese Rettung in der Not dankte.
Er rannte zu dem Rondell, so schnell es mit einem Kettenhemd möglich war. Vielleicht gab es sogar eine Bratwurst oder ein Steak im Brötchen?

„Bei König Growes Bart, gib mir ein Bier, Elf!“, rief der arme Hartmut und wedelte mit einer Silbermünze.
Der Elf freute sich über den Enthusiasmus des Ausländers. „Ich habe hier etwas ganz Besonderes, extra für besondere Gäste: Kirschbier.“ Er machte eine kleine Pause, um die Tatsache hervorzuheben: „…mit einem Hauch von dunländischer Zitrone.“
Hartmuts Kehle entsprang ein unmenschlicher Laut; er schüttelte den Bart, Schaum tropfte aus seinem aufgerissenem Mund. Er zog die Axt.

Am nächsten Morgen kam Wolfram und löste ihn aus der Zelle des örtlichen Gefängnisses aus. Er hatte den materiellen Schaden ersetzt, den Hartmut dem Kirschbierhändler zugefügt hatte, war aber schlecht gelaunt, weil er als Zeichen der Versöhnung – er hatte gelernt, das heiße Diplomatie – einen ganzen Liter Kirschbier mit Zitrone hatte trinken müssen. Jetzt quälte ihn Sodbrennen.

Seit diesem Tage schickte die Gilde keinen Zwerg mehr ohne mehrere Fässer Bier in die Fremde. Der Diplomatie wegen. Oder auch wegen der Kosten.

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3 Gedanken zu „Hartmut dreht durch

  1. Ist er nicht. Hatte schon öfter mit dem Gedanken gespielt, bei Ace nachzuhaken. 😉
    Die Terrorspeisen erinnern mich ein wenig an die örtliche Mensa, Hartmut hat mein ganzes Mitgefühl.

  2. Hi Mirja!

    Diese Story ist Dir wirklichs ehr gut gelungen! Ich habe mich köstlich amüsiert… *lach* Jaja, Zwerge haben es in Zeiten zunehmenst um sich greifenden Vegetarismus echt sehr, sehr schwer… *rolleyes* 😉

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